Der Glockenschatz auf der Haselburg
Auf einem vorspringenden Felsen, am westlichen Hang des Kohlerberges stehen die Reste der Haselburg, nach ihrem einstigen Besitzern auch Schloß Kuehbach genannt.
In alter Zeit saß ein reicher Ritter von Kuehbach auf der Burg, der mit ganzer Seele an seinem Hab und Gut hing, während seine Gemahlin ein mildes, gebefreudiges Herz besaß. Als der Kaiser seine Adeligen zu einer langen Kriegsfahrt in fernes Land rief, war der Kuehbacher vor seinem Abschied darauf bedacht, den Inhalt seiner Schatzkammer zu sichern.
Er raffte Gold und Silber zusammen und ließ es zu einem seiner Dienstmannen bringen, der in einer Waffenschmiede scharfe Schwerter hämmerte. Der Schmied mußte nun im geheimen Auftrag des Ritters die edlen Metalle in den Hohlraum großer kupferner Kugeln bergen, die dann als Dinge ohne Wert, in den Schloßgraben von Kuehbach geworfen wurden. Der schlaue Ritter glaubte nun auf solche Art seine Schätze wohlgeborgen und zog beruhigt von dannen.
Während der Abwesenheit des Ritters, pochte eines Tages eine Abordnung der Bozner Bürger an die Pforte der Haselburg. Die Herren wollten von der Schloßfrau eine Gabe für die noch fehlenden Glocken des neuen prachtvollen Pfarrturmes erbitten, den Meister Hans Lutz von Schussenried erst vor kurzem kunstreich erbaut hatte.
Die Burgherrin hörte die Bozner freundlich an und sprach dann : "Von Herzen gerne würde ich, ihr lieben Herren, euren Wunsch erfüllen. Doch mein Gebieter, der schon seit Langem in der Ferne weilt, hat mir nur das allernotwendigste zurückgelassen, so daß ich, wie gerne ich auch wollte, nichts rechtes zu euren Glocken beitragen kann."
Schon wollten die Bozner Herren enttäuscht wieder abziehen, da erblickte einer von Ihnen von der Schloßbrücke aus im Graben die großen kupfernen Kugeln. Auf die Frage, ob er nicht vielleicht diese Kugeln als Glockenspeise zu haben wären, gab die Edelfrau mit Freuden ihre Einwilligung. Die plumpen Kugeln, die, wie sie meinte, zwecklos im Graben lägen, könnten doch keine bessere Verwendung finden. Freudig führten die Bozner die kupfernen Kugeln auf pferdebespannten Wagen durch den Haslacher Wald in die Stadt.
Bald ertönte vom Bozner Pfarrturm das neugegossene Geläute, und die ganze Gegend war des Staunens voll über die silberhellen, melodisch schwingenden Ton der neuen Glocken.
Inzwischen kehrte der Ritter nach beendeter Kriegsfahrt heim und wurde auf der Haselburg von seiner Gattin freudig begrüßt. Dann galt sein erster Blick dem Schloßgraben, in welchem er die Hüter seines Goldes, die kupfernen Kugeln vergebens suchte. Die Burgfrau erzählte arglos vom Besuch der Bozner Herren, denen sie auf ihre Bitte die kupfernen Kugeln, die unnütz im Graben lagen, geschenkt hatte.
Schon wollte der Kuehbacher in jäher Aufwallung die Hand gegen seine Freu erheben, da ertönte durch das geöffnete Fenster des Saales das Aveläuten vom Bozner Pfarrturm. Die Zaubermacht der silbernen Glockenstimmen, die ihren Wohlklang den Schätzen des Ritters verdankten, erweichte das Herz des Schloßherren, so daß er in dem Geschehenen die Fügung Gottes erkannte und fortan an der Seite seiner Gattin ein dem Wohltun und der Nächstenliebe geweihtes Leben führte.